Christian Thorau (Universität Potsdam) und Hansjakob Ziemer (MPIWG Berlin) veranstalten vom 12.-14. Juli 2012 eine Tagung zum Thema “The Art of Listening”, die sich der Erforschung des Musikhörens widmen wird. Die Veranstaltung findet im Berliner Radialsystem V statt. Vorschläge für Beiträge können bis zum 15.02.2012 eingereicht werden (Email an: fuellner@uni-potsdam.de).
Seit Mitte der 1990er Jahre und dem bahnbrechenden Buch von James Johnson (“Listening in Paris. A Cultural History”, 1995) ist die Geschichte des Musikhörens auf ein neues Interesse in den Musik- sowie Geschichtswissenschaften, aber auch in den Kulturwissenschaften gestoßen. Dieses Interesse knüpft einerseits an Diskurse aus den 1920er Jahren an und rührt andererseits von der Öffnung der Geisteswissenschaften im Zuge des cultural turns her, in Folge dessen die Hegemonie des Visuellen kritisch hinterfragt wurde. Seitdem sind für das Musikhören – als einer Form des Hörens in der Moderne – Studien entstanden, die Situationen des Hörens im Konzert und anderen lebensweltlichen Zusammenhängen mit musik-, sozial-, kultur- und ideenhistorischen Kontexten verbinden.
Die Tagung will zum einen eine Bilanz des Stands der Diskussion zum Musikhören in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ziehen. Zum anderen soll es darum gehen, Desiderata der bisherigen Forschung zur Geschichte des Musikhörens auszumachen, methodische Zugriffsweisen zu reflektieren und die Chancen einer kritischen, historischen Betrachtung von kulturellen Praktiken für aktuelle Diskussionen über die Veränderung des Musikhörens im 21. Jahrhundert zu nutzen. Zu einer Aktualisierung des Themas soll gleichzeitig ein gemeinsam mit dem Radialsystem V entworfenes Programm von Konzerten und Installationen beitragen, die mit Hörformen und -situationen experimentieren. Da das Musikhören als ein historisches Phänomen ein amorpher Forschungsgegenstand ist, geht er über einen einzelnen methodischen Zugriff hinaus und bedarf einer transdisziplinären Zusammenarbeit der historischen Disziplinen von der Musik-, Kultur- und Medienwissenschaft bis hin zu Wissenschaftsgeschichte und historischer Anthropologie.
Die Tagung wird sich daher mit einer Reihe von Perspektiven auf die Historizität des Musikhörens in der europäischen Moderne befassen und ihre Relevanz für jüngere Entwicklungen ausloten. Vorschläge für Themen aus den folgenden Bereichen sind willkommen:
– Wandel in der Geschichte des Musikhörens: Die longue durée in der Geschichte des Musikhörens erlaubt Fragen über spezifische Veränderungen von Hörformen. Wie entwickelte sich das Hören von Musik und war dies ein evolutionärer Prozess? Welche Kontinuitäten und Diskontinuitäten gab es in seiner Entwicklung? Wie lässt sich zwischen einer Natur des Hörens und einer Kultur des Hörens vermitteln? Wie lässt sich ein Dialog zwischen geistes- und naturwissenschaftlichen Zugriffen auf das Musikhören in Geschichte und Gegenwart entwickeln? Wo waren bzw. sind die Grenzen des Musikhörens zu anderen Formen des Hörens?
– Praktiken des Musikhörens: Dieses Thema umfasst alle Praktiken des Hörens, die im Konzertsaal ausgeübt worden sind: die kulturelle Inszenierung von Musikdarbietungen genauso wie die Vorbereitung auf die Musik, die verbale und nonverbale Kommunikation ebenso wie die emotionale Verarbeitung des Gehörten. Welche Emotionen lösten Konzertbesuche aus und wie standen sie im Zusammenhang mit Praktiken außerhalb des Konzertsaals? Wie entwickelte sich das Verhältnis von Aufmerksamkeit und Zerstreutheit? Wie wurde Musikhören in Kunst und Literatur repräsentiert? Wie beeinflussen unterschiedliche Aufführungstypen das Musikhören? Welche Rolle spielen Unterstützungen des Hörerlebnisses durch begleitende Text- oder Bildmedien? Verhielten sich Publika in Theatern, Opernhäusern oder Kinos ähnlich wie die Konzerthörer? Wanderten die Publika des Konzerts zwischen unterschiedlichen Aufführungsformen? Welche Rolle spielen Konstruktionen eines männlichen und weiblichen Hörens?
– Kompositionen und Musikhören: Die Beziehung von musikalischem Text und den Hörern verdient neue Beachtung. Daher muss gefragt werden, in welchem Maße kompositorische Entwicklungen auf einen impliziten Hörer in den Kompositionen schließen lassen. Welchen Einfluss nahmen Komponisten auf die Hörerreaktionen im Konzertsaal? Welche Möglichkeiten gibt es, anhand von Topoi, Idiomen und Gattungen oder von individuellen Beispielen Werke als Quelle einer historischen Hörforschung zu nutzen?
– Musikhören und neue Medien: Dieser Themenkomplex befasst sich mit der Beziehung des Musikhörens und der technologischen Innovationen von Aufnahme-, Übertragungs- und Wiedergabetechniken. Wie haben neue Technologien das Musikhören verändert, und wie wirken sich Praktiken des Musikhörens auf neue Medien aus? Gab es unterschiedliche Formen des Musikhörens auf Grund von unterschiedlichen Apparaten? Wie haben neue Medien die Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit beim Musikhören neu definiert?
– Räume des Musikhörens: Musikhören ist in lokalen Praktiken und Traditionen verankert und zur gleichen Zeit ein globales Phänomen. Wie abhängig war das Musikhören von lokalen Bedingungen und wie fand seine nationale und transnationale Verbreitung statt? Welchen Einfluss hatten regionale und urbane Kulturen auf die Praktiken des Hörens und welche Rolle spielte Architektur für das Musikhören?
Wir laden ein, Vorschläge für Einzelvorträge in deutscher oder englischer Sprache einzusenden. Abstracts (max. 250 Wörter) und ein kurzer CV können bis zum 15. Februar 2012 geschickt werden an: Prof. Dr. Christian Thorau, Universität Potsdam, Email: fuellner@uni-potsdam.de.
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