Der Begriff des Dokumentarischen in der Soundforschung – Ein Interview mit Maren Haffke

Am 18. und 19. Februar 2019 findet an der Ruhr Universität Bochum die Jahrestagung der AG Auditive Kultur und Sound Studies statt, gemeinsam mit dem dortigen Graduiertenkolleg Das Dokumentarische. Exzess und Entzug. Maren Haffke, Postdoc am Graduiertenkolleg, ist Gastgeberin und hat die Tagung maßgeblich mitorganisiert. Anna Schürmer hat sich mit ihr darüber unterhalten, was wir in Bochum erwarten können, und was das mit ihrem eigenen Postdoc-Projekt zu tun hat.

Maren Haffke im Interview mit Anna Schürmer
Maren Haffke (Bochum)

Anna Schürmer: Ich habe die Freude, mit Maren Haffke zu sprechen und zwar mit Bezug auf die Tagung „AKUSTISCHE DOKUMENTE / SONIC DOCUMENTS“, die am 18. und 19. Januar 2019 stattfindet. Es handelt sich dabei um eine Kooperation der AG Auditive Kultur und Sound Studies der Gesellschaft für Medienwissenschaft (wo Ania Mauruschat und ich AG-Sprecherinnen sind) mit dem Graduiertenkolleg Das Dokumentarische. Exzess und Entzug der Universität Bochum, wo wiederum Maren als Postdoc tätig ist. Hallo Maren.

Maren Haffke: Hallo Anna, freut mich.

AS: Also wir sprechen über die Tagung. Ich würde gerne ganz allgemein anfangen. Sie heißt nun „AKUSTISCHE DOKUMENTE / SONIC DOCUMENTS“. Was sind Sonic Documents?

MH: Es gibt ja so eine leichte Verschiebung zwischen den beiden Begriffen. Das ist ein bisschen intentional, weil man aus solchen Reibungen ja auch ins Sprechen kommen kann. Sonic Documents und Akustische Dokumente sind ja jetzt keine ganz direkte Übersetzung. Man könnte auch Sound Documents oder Tondokumente sagen. Es geht in jedem Fall aber bei diesen verschiedenen Begriffen darum, dass man fragt, wie Klang Zeugnis ablegt.

Der Begriff des Dokuments und des Dokumentarischen kommt vom lateinischen „docere“. Dabei geht es immer um Belehrung, und das verweist auf Prozesse der Beglaubigung und der Authentifizierung. Das Dokument war zunächst aus Papier. Dann gab es mit einem Aufkommen der Analogmedien, der lexikalischen, der Fotografie und auch des Films als Genre, als Bereich eben die Dokumentarfotografie und den Dokumentarfilm. Und das hat darauf verwiesen, dass Naturähnlichkeit, die aus der Indexikalität dieser Medienverfahren kommt, nicht alleine verantwortlich ist für die Absicherung und die Beglaubigung, sondern, dass diese Medien immer noch eingebunden sind in andere Prozesse, die sozusagen dieses Potenzial, etwas abzusichern, erzeugen.

Das heißt also: Eine Aufnahme oder ein Foto oder eine Sequenz von Bewegtbildern würde dann unterschiedliche Autorität gewinnen, je nachdem, welchen Zugängen sie zugefügt werden. Dabei geht es um Archivierung oder Datenauswertung, um Institutionen oder eben um andere Medien, wie Bilder, Texte und so weiter. Und das interessiert uns im Rahmen der Tagung eben für die Tonaufnahmen.

AS: Dein Postdoc-Projekt steht dazu ja auch in unmittelbarem Zusammenhang: „Realität vonField Recordings – Exzess und Entzug akustischer Realismen in Medienwissenschaft und Sound Studies“. Vielleicht kann man das dann an diesem Beispiel ein bisschen erklären. Inwiefern finden sich in deinem Projekt solche Sonic Documents?

Wie Tonmaterial weiterverwendet wird, welchen Zugängen es zugeführt wird, das verändert die Autorität der Aufnahme.

MH: Ja klar, ich meine, das ist ja auch ein sehr langer Arbeitstitel. Bei mir geht es um die Geschichte der Field Recordings von etwas, was man da an manchen Stellen nicht ganz voraussetzungslos „Umwelt“ nennt. Zum Beispiel eine Aufnahme von einem meteorologischen Phänomen, auf der man vielleicht Vögel und einen vorbeifahrenden Traktor oder ein Motorrad hört, und der Wind geht direkt auf das Mikrophon.

Und diese Aufnahme kann aber sozusagen ganz unterschiedliche Dinge erzeugen, beglaubigen, je nachdem, in welche Kontexte sie kommt. Sie könnte im Rahmen von musikalischen Publikationsstrukturen veröffentlicht werden, wie das vielfach geschieht seit den Zweitausendern mit Field Recordings, was aber auch schon längere Tradition und Geschichte hat. Solche Aufnahmen können für die bioakustische Forschung verwandt werden. Also dieselbe Aufnahme würde dann anders weiterverarbeitet werden.

Man kann ihr andere Fragen stellen. Sie könnte für die Erzeugung von Atmosphären für den Film verwandt werden oder für Museumskontexte zugänglich gemacht werden, und jedes Mal würde sozusagen dieses Material, erst einmal dieses indexikalische Material der Aufzeichnung, unterschiedlichen Prozessen zugänglich gemacht und hätte dann unterschiedliche Autorität und würde auch unterschiedliche Rezeptionsweisen erzeugen. Man würde es auch unterschiedlich anhören. Und das ist etwas, was mich genau an dieser Stelle interessiert, wo es jetzt um ökologische Forschung geht.

AS: Und um noch mal den Rahmen ein bisschen weiter aufzumachen: Welche Stellung nehmen denn Sonic Documents innerhalb des Graduiertenkollegs „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“ an der Ruhr Universität Bochum ein? Also inwiefern spielt Sound in diesem doch allgemeiner geprägte Gefüge eine Rolle und wie ordnet sich das da ein?

MH: Also es gibt halt mein Projekt, was im engeren Sinne damit befasst ist, und ansonsten begegnet einem das immer wieder. Ich meine, Ton spielt eine Rolle überall da, wo es um Film geht, in vielen Strategien der bildenden Kunst. Es taucht in allen möglichen Verfahren auf, seien die jetzt technopolitisch oder selbstdokumentarisch.

Aber zugleich kann man eben sagen, dass die Arbeit, die jetzt im Spezifischen mit Sound befasst ist, mit der ganz konkreten Art von Medialität, mit der man es da zu tun hat, sich ja in vielem unterscheidet von anderen vergleichbaren Medien, wie der Fotografie oder dem Film, da über diese eine längere und intensivere Theoriebildung besteht, welche ja auch mehr im Bewusstsein bestehen und etwas genauer erforscht sind. Also verglichen damit könnte man sagen, dass es noch sehr viel Potenzial gibt, sich mehr mit den Audiomedien zu befassen. Das heißt, da ist noch viel zu tun, weswegen es ebenso schön ist, dass wir eine solche Tagung machen, wo wir Perspektiven darauf entwerfen.

Ein Begriff des Dokumentarischen könnte Bewegung in die Auseinandersetzung mit Audiomedien bringen.

AS: Damit gibst du selbst jetzt schon das Stichwort für meine nächste Frage: Was speziell interessiert uns, muss man ja sagen, weil wir gemeinsam die Tagung veranstalten, mit der Gesellschaft für Medienwissenschaft und eben dem Graduiertenkolleg, aber eben auch aus Sicht des Kollegs – was sind so die Ziele, die bei dieser Tagung angestrebt oder befragt werden sollen?

MH: Wenn man so einen Begriff reinwirft, dann schaut man ja auch erst mal, was kommt. Ein bisschen ist das so, dass man überhaupt erst mal fragt mit dieser Tradition des Dokumentarischen, die besser erforscht ist oder einfach mehr erforscht ist in den anderen Medien, das einfach mal auch ganz heuristisch anzuwenden und das was man an medienwissenschaftlicher Forschung und interdisziplinärer Forschung zu Sound-Verfahren hat, mal daraufhin zu prüfen, wie das produktiv gemacht werden kann. Und da gibt es eben ganz verschiedene Bereiche, in denen Klang ja tatsächlich als Klang firmiert.

Das einfach mal von verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, um zu schauen, inwieweit das taugt und wie man davon ausgehend vielleicht Perspektiven weiterentwickeln kann, weil es glaube ich schon so ist – und es ist bei vielen indexikalischen Medien so – dass eine bestimmte Art der Theoriebildung sozusagen sehr eng bei den Materialien bleibt.

Ich glaube, ein Begriff des Dokumentarischen, der eben so eine Öffnung für Prozesshaftigkeit und Verfahren hat, könnte eben, wäre meine Hoffnung und mein besonderes Interesse, mögliche Verbindungen und unterschiedliche Konstellationen noch mal erzeugen, die vielleicht ein bisschen Bewegung bringen. Das wäre das Interesse. Mal gucken, was kommt.

Wir sind radikal interdisziplinär.

AS: Vielleicht kannst du einen Überblick geben über das Themenspektrum, und auch vielleicht mit dem Hintergrund der Frage, ob das fokussiert auf Sound Studies ist, also im medienwissenschaftlichen Sinne oder ob das Ganze tatsächlich interdisziplinär angelegt ist und auch bezüglich der Einsendungen und Vortragenden, die kommen werden?

MH: Also wir sind radikal interdisziplinär. Man kann ja auch sagen, dass die Sound Studies selbst als Feld eine gewisse Interdisziplinarität schon mitbringen. Dann gibt es ja in letzter Zeit auch viele Diskussionen darüber, wie sich die Sound Studies zu so etwas wie Auditory Culture Studies verhält.

Anyway, bei uns sind alle eingeladen, wir haben eine große Reihe an verschiedenen methodischen Zugängen und verschiedene Materialien. Es geht um Werbeschallplatten, es geht um Sprachsamples, es geht um die Frage von Kunst im Dokumentarischen, um Verfahren der Visualisierung, um verschiedene konkrete technische Medien, das Phonogramm zum Beispiel. Wir haben Musikobjekte zum Thema, also die Frage, was Objektivierung von etwas für Medien wie Klang sein könnte, es geht um Archivprozesse, es geht um Mikrofonie, um Klang und Erinnerung – und um Geister geht es auch.

AS: Als Keynote-Speakerin wurde ja Dr. Carolyn Birdsall gewonnen. Warum und was wird sie denn im Rahmen der Tagung vortragen?

MH: Ja wir haben das große Privileg, das große Glück, dass Carolyn Birdsall sich bereiterklärt hat, bei uns zu sprechen, was uns sehr freut, weil Carolyn Birdsall ja eine sehr verdiente Forscherin ist, was Fragen der Archivierung von Klang angeht. Sie hat ja auch schon zu Ton im Dokumentarfilm gearbeitet und sie spricht bei uns über die Archivierung von Radio. Und auf dieses sehr interessante Wechselverhältnis vom Versenden, vom Broadcasten, welches eben durch eine bestimmte Zeitlichkeit geprägt ist und dann im Vergehen auch besteht, welchem die Produktion dieser Dokumente in den Archiven und diesen verschiedenen Prozessen der Haltbarmachung, Speicherung und Verwaltung gegenübergesetzt wird.

AS: Vielleicht noch abschließend, wenn du schon sagst, das ganze Ding ist radikal interdisziplinär angelegt: Ist es denn nun rein wissenschaftlich, oder gibt es auch Formate wie Lecture Performances oder künstlerische – kann man da auch was erwarten?

MH: Ja, eine Lecture Performance haben wir auch, gleich am ersten Tag gibt es eine von Ralf Homann aus München. „Das Geräusch der Wahrheit“ heißt das.

AS: Wie man jetzt gehört hat, in diesem kurzen Gespräch, wird es eine riesen Bandbreite an Sonic Documents und Akustischen Dokumenten geben. Eine Bandbreite an Themen, Disziplinen und eben auch nicht nur wissenschaftlich, sondern auch mit einer kleinen künstlerischen Note – wir freuen uns sehr darauf. Danke, Maren Haffke, dass wir das bei euch in Bochum austragen können.

MH: Ich freue mich auch. Kommt alle vorbei. Das wird super.


Dr. Anna Schürmer

Dr. Anna Schürmer ist Sprecherin der AG Auditive Kultur und Sound Studies und hat Dr. Maren Haffke interviewt.