Sound-Memes, Lärm und Metadaten: Vernetzte Klanglandschaften des #DeepTikTok

Ein Beitrag von Elena Pilipets


Soziale Medien gelten als Orte fortlaufender Transformation. Sie operieren strategisch mit user-generierten Inhalten und fokussieren kollektive Aufmerksamkeit auf interaktive Angebote, die sich erfolgreich durchsetzen. Neben Bild, Bewegtbild und Text sind Audio-Funktionen zunehmend Teil der partizipativen Umgebungen von Social-Media-Plattformen. TikTok zum Beispiel vernetzt Inhalte nicht nur über Hashtags, sondern auch über die Nutzung des Sound-Buttons und über suchbare Musik. Der ‘Sound-On’-Charakter des vom chinesischen Konzern ByteDance geführten Videosharing-Portals wurde mit dem Kauf der Musikvideo-App Musical.ly in 2017 etabliert und fasziniert sowohl Mainstream-Unternehmen als auch Angehörige diverser subkultureller Randgruppen. Auf der Newsroom-Seite der Plattform werden Sounds als “zentrale Bestandteile des TikTok-Erlebnisses” gepriesen: “sie schaffen globale Trends, fördern die Kreativität und vereinen Communities auf der ganzen Welt” (TikTok Newsroom 2021). Doch wie verhält sich diese Faszination zu den plattformspezifischen Bedingungen musikalischer Instrumentalisierung und Datenerfassung? Welche Formen affektiver Resonanz entstehen durch die Replikation von Sounds in den sich viral formierenden Nutzer:innengemeinschaften? Welche Praktiken intensivieren akustische Verlinkungen und welche erzeugen Lärm? In anderen Worten: Was bedeutet es, TikToks in ihrer heterogenen Komposition als vernetzte Klanglandschaften zu beforschen? 

Im Folgenden stehen diese Beziehungen im Fokus einer situierten Betrachtung von Sound-Memes, die sich als Gegenpol zu gängigen TikTok-Trends rund um das Alt-Genre und subkulturelle Randphänomen Deep TikTok formieren. Ich stütze mich auf aktuelle Diskussionen in der Musik-, Meme- und Plattformforschung und schlage vor, dass TikTok-Sounds als Netzwerkartefakte resonante Klanglandschaften schaffen, in denen Stimmen, Geräusche und Töne reproduziert, angeeignet und transformiert werden. Das Phänomen Deep TikTok veranschaulicht dabei die vernetzte Entfaltung audiovisueller Randgemeinschaften jenseits etablierter Nutzungsmuster. Darin finden sich einerseits normative algorithmische Ordnungen und Strategien zur Reduktion von Störungen wieder, deren Logik folgend Inhalte sichtbar und unsichtbar gemacht werden. Andererseits werden genauso unkonventionelle Praktiken audiovisueller Komposition ermöglicht, die in diese Ordnungen intervenieren. 

Vernetzte Klanglandschaften: TikTok als Klang- und Metadatenmaschine

Um zu verstehen, wie Soundscapes auf TikTok funktionieren, ist es wichtig zu definieren, was Sounds in ihrer Materialität ausmacht. Das Konzept der Soundscapes gibt bereits erste Hinweise darauf, dass Sounds räumlich gedacht werden können – als eine sich im Kontext der Wahrnehmung entfaltende akustische Umgebung (Schafer 1977). Da so eine Umgebung sowohl medientechnische als auch körperlich-materielle und affektive Dimensionen beinhaltet, hat die Frage ihrer Gestaltung zwangsläufig einen pluralen Charakter (Birdsall 2012). Im Unterschied zu follower- und freundschaftsbasierten Content-Flows von Instagram und Facebook zeichnen sich TikToks vor allem durch ihre vielfältigen Gestaltungselemente aus (Otto 2023). Unter Bedingungen der Plattformisierung operieren die Aufzeichnung, Distribution und Rezeption von Klängen als relationale Spielräume mit mehreren vernetzten Handlungsoptionen. Die Art und Weise, wie solche Netzwerke moduliert und erfahren werden, rückt zunehmend ins Zentrum der Diskussion von Musikkulturen auf Social Media Plattformen (Bonini und Magaudda 2024). 

Auf TikTok werden Inhalte durch suchbare Sounds, Hashtags und Videoeffekte Teil einer multimodalen Umgebung, in der Nutzer:innen-Interaktionen in Form von Metriken und Relationen erfasst und verdatet werden (Pilipets 2023). Die algorithmisch gesteuerte ‘For You Page’ (FYP) nährt sich vom intensiven Gebrauch eingebauter Plattform-Funktionen und produziert eine besondere Dynamik personalisierter Bewertung. Dabei werden Nutzer:innen in affektive Nachbarschaften gruppiert, die auf ihrem bisherigen Online-Verhalten sowie geteilten Interessen und Vorlieben basieren (Grandinetti und Bruinsma 2022). Aus jedem empfohlenen Video kann über die Nutzung des Soundbuttons Musik übernommen und kreativ mit anderen Gestaltungselementen kombiniert werden. Detaillierte Informationen aus den von Nutzer:innen erstellten Videos, wie Sounds und Hashtags sowie Interaktionen wie Likes und Kommentare, werden einbezogen, um Inhalte besser zu kategorisieren und mit den jeweiligen Präferenzen zu matchen (TikTok Newsroom 2020). Song-Ausschnitte, Geräusche, Stimmen und Klänge aus den FYP-Videos können sich dadurch schnell zu viralen Meme-Vorlagen entwickeln (Abidin und Kaye 2023). Aus der Interaktion mit bereits zirkulierenden TikToks entstehen nicht nur weitere interaktive Impulse, sondern auch umfassende Archive transaktionaler Daten (Gerlitz 2016). Im Konzept der Soundscapes treffen sich diese Elemente und geraten in den Mittelpunkt einer multiperspektivischen Analyse von TikTok als einer Klang- und Metadatenmaschine.

Als interaktive Umgebungen beinhalten TikTok Soundscapes vor diesem Hintergrund zwei Logiken akustischer Verlinkung: Die erste Logik ist untrennbar mit den Empfehlungsmechanismen der Sound-Bibliothek verbunden und beruht auf den über die Suchfunktion von TikTok zugänglichen Sounds (Abb. 1). Die Sound-Bibliothek fördert sofortige Reaktionen auf aufkommende Trends und bietet gleichzeitig eine langfristige Grundlage für die algorithmische Manipulation affektiver Impulse. Das individuelle Hören in einer solchen Umgebung verschaltet sich mit vorstrukturierten Praktiken imitativer Gestaltung und kollektiven Videokonsums. Dennoch werden nicht alle Videos mit gelisteten Sounds aus der Bibliothek veröffentlicht. Die meisten TikToks enthalten den so genannten Originalton und ermöglichen somit eine interessante Intervention in die plattformeigene Logik der Suchoptimierung und Aufmerksamkeitsverteilung (Geboers und Pilipets 2024).

Abb. 1: Gelistete Sounds aus der Soundbibliothek in der Kategorie ‘Pride’ und die Nutzung des Sound-Buttons. Darstellung im User-Interface der App.  

Als Originaltöne oder ‘original sounds’ werden auf TikTok alle Audiospuren bezeichnet, die von Nutzer:innen selbst aufgezeichnet und hochgeladen werden. Häufig umfasst diese zweite Gestaltungslogik auch Sounds, die ohne Quellenangabe unter dem Standardtitel ‘original sound’ oder unter einem umbenannten Titel aus den Videos anderer Creator:innen übernommen und neu verlinkt werden. Bei einer ‘korrekten’ Sound-Übernahme über die Funktion ‘use sound’ wird das neu erstellte Video automatisch mit der autorisierten Audio-Quelle samt Account-Namen und Sound-Titel angezeigt. Wenn jedoch Videos mit zuvor gespeicherten und dadurch identischen oder leicht modifizierten Sounds aus anderen Videos erstellt werden, erscheinen diese Audiospuren als ‘original sounds’ ohne eine Verbindung zum ursprünglichen Sound-Artefakt. Obwohl solche Originaltöne regelmäßig gemeldet und entfernt werden (TikTok Support 2024), bleiben sie ein zentraler Bestandteil der Verbreitung von Sound-Memes auf TikTok. Einerseits zeigt sich dadurch die Problematik der Fehlzuordnung von Inhalten, was Creator:innen, die ihre Beiträge über TikToks Attributionsmechanismen vermarkten, vor Probleme stellt (Kaye et al., 2021). Andererseits bieten ‘original sounds’ Raum für subkulturelle Interventionen. Der nächste Abschnitt fokussiert solche Interventionen am Beispiel von Deep TikTok und stellt die Frage nach der Resonanz von Soundscapes, die sich gezielt außerhalb von zentralisierten Mechanismen der “Sichtbarkeitsmoderation” (Zeng und Kaye, 2022) positionieren. 

Deep TikTok: Zur affektiven Resonanz des Lärms

Deep TikTok, auch bekannt als DeepTok, ist ein Subgenre von Alt/Elite TikTok, das sich durch bizarre Inhalte mit einem speziellen Satz von Klängen und dazu passenden künstlerisch verfremdeten Körperperformanzen auszeichnet. Alt oder Elite TikTok positioniert sich als eine Alternative zu ‘Straight’ oder Mainstream TikTok und propagiert eine Abkehr von den traditionellen Lip-Syncs und choreografierten Routinen auf der Plattform. Deep TikToker:innen teilen ‘deepfried content’, das heißt, sie verwenden so lange verschiedene Filter, bis ihre Inhalte eine ausgewaschene, verpixelte und verfärbte Erscheinung annehmen. Audiotracks werden oft verlangsamt oder beschleunigt, Stimmen werden verzerrt, damit sie unheimlich wirken. Populäre Songs werden ihrem Kontext entrissen, mit neuen Assoziationen versehen und durch die Verwendung des Originaltons von neuen Accounts geteilt. Als Randerscheinungen einer audiovisuellen Plattform mit vielfältigen Möglichkeiten zur Sound-Distribution sind DeepToks nicht nur metaphorisch, sondern oft buchstäblich “Lärm – nicht Klang, sondern Missklang” (Hebdige 1983, 8). Die sie verbreitenden Gemeinschaften setzen auf die Logik des Absurden: Ihre Videos ergeben interpretativ keinen Sinn, bergen jedoch subtile affektive Schwingungen oder Vibes (Moskowitz 2024), die nur bei Eingeweihten Anklang finden. 

Aus dieser Perspektive betrachtet, reichen die affizierenden Register von DeepToks – ihre Fähigkeit, Stimmungen zu erzeugen, Interaktionen anzuregen und Gemeinschaften zu mobilisieren – weit über das Akustische hinaus. Ihre Verlinkungen mit anderen plattformspezifischen Ausdrucksformen erzeugen vielschichtige Resonanzbeziehungen mit variierendem Nachklang. Die Betrachtung von Affekten als vernetzt bedeutet, sie immer bereits zwischen verschiedenen Körpern – menschlichen und nicht-menschlichen – zu positionieren (Hillis et al. 2015). Resonanz ist etwas, das in den Begegnungen zwischen diesen Körpern entsteht und die Beteiligten auf unterschiedliche Weise aktiviert (Paasonen 2019).1 Lärm – verstanden nicht als bloße Störung oder unerwünschte Abweichung, sondern als dynamisches und unvorhersehbares Element (Van Dijk et al. 2019) – verkörpert eine konstitutive Kraft, die es DeepToks ermöglicht, dissonante Resonanzbeziehungen zu erzeugen. Aus dem simultanen Einsatz akustischer, visueller, körperlicher und textueller Elemente entstehen Momente überraschender Überlagerung, die über das Potenzial verfügen, User:innen-Gemeinschaften multisensorisch zu bewegen. 

Wenn Verständigung auf Deep TikTok also keine Priorität hat, welche Formen des affektiven Involviertseins sind es dann, die eine Veränderung hinsichtlich der Erzeugung von Resonanzräumen begünstigen? Akustische Praktiken des Teilens fördern Hierarchien zwischen Öffentlichkeiten, die gehört werden und jenen, die in diese Öffentlichkeiten intervenieren. Interaktionen und Metadaten, die DeepToks hervorbringen sind oft flüchtig und fragmentiert. Wie in Hebdiges Analysen subkultureller Taktiken, offenbaren auch DeepToks Mechanismen semantischer Unordnung2, die als kurzzeitige Blockaden in kommerziellen Reproduktionslogiken der Plattform wirken. Anstatt die Vermehrung von populären Sound-Vorlagen zu fördern, liegt die spezifische ‘Magie’ von DeepToks in der Hervorhebung von Störungen. Einige Sound-Kreationen, die populäre Sounds als Originaltöne verfremden, zirkulieren nur kurz und werden anschließend oft aufgrund von Copyright-Verstößen entfernt (Abb. 2). Andere hingegen durchlaufen mehrere Runden kollektiver Aneignung als widerspenstige Sound-Memes, die Imitation als Mittel zur Schaffung verfolgbarer kultureller Dynamiken subversiv herausfordern.

Abb. 2: Stills aus einem Spider-Elsa-DeepTok, akustisch untermalt mit einem inzwischen entfernten Remix aus Doja Cats Say So und Jennifer Lawrences Hanging Tree (aus The Hunger Games). Der Remix existiert auf TikTok in mehreren Originalton-Variationen und kann auf YouTube in der Version von Esha Shah nachgehört werden. 

Die sich unter solchen Umständen entfaltenden Resonanzbeziehungen zeichnen sich Susanna Paasonen folgend durch eine hohe Ambiguität aus, da sie heterogene Formen der Affektierung voraussetzen. Die Fähigkeit von Personen, Accounts, Inhalten und Metriken in einer digitalen Umgebung aufeinander ein- und zusammenzuwirken, entsteht aus Begegnungen zwischen technischen Artefakten und kreativen Praktiken. Die Intensität dieser Begegnungen verwandelt sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, während die Aufmerksamkeit und das Interesse der Nutzer:innen sich fortlaufend verschieben, vermischen und neu fokussieren (Paasonen 2019). Geht ein TikTok-Trend viral, entwickelt sich aus suchbaren Gestaltungselementen eine Kaskade audiovisueller Riffs, die klare Kategorisierungen unterläuft. Autorisierte Sounds werden mithilfe gezielter auditiver Verfremdung kollektiv remixt und neu interpretiert. DeepToks verbinden diese Elemente und erschaffen durch die Nutzung von Glitch-Effekten eigene memetische Spielräume (Abb. 3).

Abb. 3: Eine Abzweigung des DeepTok-Soundscapes am Beispiel von Buttholes Are Nothing to Be Laughed at des Comedy Duos Laura Clery und Stephen Hilton. Der Song vernetzt insgesamt 7525 Videos, wobei mehrere Videos seine ‘verrauschten’ Remix-Variationen enthalten. Video-Beispiele von links nach rechts @subwayistherightway, @beetlejuicebeans, @beautifulhotcoolgirl, und @myfypbroke). 

Der Doppelcharakter von DeepToks als Lärm und memetische Praxis wirft Fragen nach ihrer beabsichtigten Reichweite auf. Je nach Ausprägung des Genres werden DeepToks anders gestaltet und miteinander verlinkt. Rausch-Effekte, gruselige Gesichtsfilter, Internet-Weisheiten über mentale Gesundheit, ad absurdum geführte Begegnungen mit Disneys Frozen-Figur Elsa sowie geheimnisvolle Videos über Frösche, Bäume, Bohnen und tanzende Kühe erzeugen ein Gefühl der Desorientierung. Häufige Anspielungen auf den sogenannten tré-Kult oder den ‘Kult des hängenden Baums’ verdeutlichen die damit einhergehende popkulturelle Referenzialität. Mehrere Originaltöne dieser Videos enthalten dieselbe Audiospur, die ein verzerrtes Mashup zwischen Jennifer Lawrences Hanging Tree aus The Hunger Games und anderen populären Liedern darstellt, darunter auch Doja Cats Say So. Eine ähnliche DeepTok-Abzweigung verwendet bewusst parodistische Songs wie Buttholes Are Nothing to Be Laughed at von Laura Clery in Kombination mit bizarren Visuals und überzeichneten Effekten. Die Techniken des audiovisuellen ‘Frittierens’ übersetzen scheinbar gewöhnliche Sujets und Klänge nicht nur in unheimliche Videoreihen, sondern transformieren die Videos mit dem Ziel der Entkontextualisierung (Abb. 4). ‘Deep Frying’ erlaubt es Meme-Creator:innen, Inhalte bis in die Bedeutungslosigkeit zu verzerren. Es funktioniert wie ein “Systemausfall, der den Inhalt in eine CAPTCHA umwandelt, sodass er von Maschinen nicht lesbar wird” (Yalcinkaya 2022). Visuelle und akustische Filter werden dabei selten plattformintern angewendet. Stattdessen überlappen DeepToks unterschiedliche Formen der Formatierung und zirkulieren als Zeichen der Rebellion gegen TikToks homogenisierende Verdatungs- und Sichtbarkeitslogik.

Abb. 4: Eine Auswahl von 60 Buttholes Are Nothing to Be Laughed at-Videos mit dem Fokus auf Rausch-Effekte und gruselige Gesichtsfilter, arrangiert nach Farbähnlichkeit. Visuelle Frittier-Techniken und verstörende Vibes verkörpern eine groteske Ästhetik, die mit surrealer Überzeichnung gezielt humoristische oder irritierende Effekte erzeugt.
Abb. 5: Hashtags, die diese Sound-Memes vernetzen, veranschaulichen die Integration von Trends in DeepTok-Gemeinschaften. Aus 60 in der Abb. 4 dargestellten DeepToks wurden 30 Videos mit #foryoupage in Kombination mit subkulturellen Verweisen auf den oben beschriebenen #tre-Kult und seine Variationen #areyoucomingtothetree und #thetre veröffentlicht. 17 Videos verzichten auf Hashtags, um die Rückverfolgbarkeit zu verringern. 

Die Resonanz dieser Inhalte ereignet sich in einem Raum, der einerseits als performativer und andererseits als infrastruktureller Raum begriffen werden kann. In ihrer performativen Gestaltung umfassen die Resonanznetzwerke, die sich auf Deep TikTok manifestieren, vielfältige Dimensionen der Wahrnehmung, Verwendung und Zweckentfremdung. Die Uneindeutigkeit von Inhalten bei einer gleichzeitigen Vernetzung zugehöriger Gemeinschaften durch Sounds und Hashtags (Abb. 5) stiftet Formen audiovisueller Beteiligung, deren spezifische Möglichkeiten situativ erprobt werden. Im Spannungsverhältnis mit gängigen TikTok-Konventionen entwickeln sich divergente Kompositionspraktiken, die es den User:innen erlauben zu improvisieren, ohne die Plattform dabei komplett zu verlassen. Der dadurch verursachte Lärm kann nicht auf ein einzelnes Video oder einen einzelnen Account zurückgeführt werden, sondern entsteht durch Störungen in einem dynamischen Beziehungsgeflecht. Ob visuell oder akustisch, Deep TikTok eröffnet Erfahrungsräume, die immer auch Irritation beinhalten. 

Klang, Lärm und Metadaten 

Die komplexen Dimensionen affektiver Vermittlung, die in solchen Interaktionen entstehen und sowohl einschränkend als auch intensivierend wirken, ermutigen uns dazu, Netzwerke nicht nur als Methode zur Trenderkennung, sondern zur Analyse expressiver Beziehungsvielfalt zu betrachten. Hashtags und Sounds können beispielsweise zu einer Quelle wechselseitiger Amplifizierung werden oder sich auch ‘unkooperativ’ zeigen, selbst wenn sie miteinander vernetzt sind. Was Sounds prominent macht, kann im Rahmen einer thematisch verknüpften Formation von Hashtags alternative Formen affektiver Beteiligung erzeugen und umgekehrt. Als eine Metadatenmaschine bietet die Plattform ein Netzwerk aus vorstrukturierten Handlungsoptionen. In diesem Netzwerk werden Affekte in wertvolle Daten umgewandelt und durchlaufen mehrere Zyklen von Akkumulation und Austausch (Gerlitz und Helmond 2013). Der darin enthaltene Lärm entsteht aus der Fluktuation zwischen Ordnung und Unordnung, wodurch Abspaltungseffekte zwischen verschiedenen expressiven Stilen in Erscheinung treten. Audiovisuelle Remix-Praktiken entfalten sich auf der infrastrukturellen Ebene genauso wie auf der Basis skalierbarer Mikro-Ereignisse, die Drift und Verschiebung involvieren. So lassen sich expressive Verlinkungen zwischen Sounds und Videoinhalten nie vollständig standardisieren. Als eine Klanglandschaft schaffen Sounds immersive Umgebungen mit vielfältigen Formen affektiver Resonanz.


Über die Autorin

Dr. Elena Pilipets, Medienwissenschaftlerin und Vertretungsprofessorin für Medienästhetik, Universität Siegen, Forschungsschwerpunkte: Audiovisuelle Plattformen, Internet-Subkulturen, Affekte, Methoden, Daten, Memes; Kontakt: Elena.Pilipets@uni-siegen.de.

Literaturverzeichnis

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1 Zur Diskussion des Resonanz-Begriffs aus philosophisch-soziologischer Perspektive siehe Hartmut Rosa: Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, 2016. Der Beitrag bezieht sich jedoch stärker auf die empirischen Auseinandersetzungen mit Resonanzbeziehungen im Kontext der Internet-Forschung und verknüpft diese mit affekttheoretischen Ansätzen zur Vernetzung und Verdatung in sozialen Medien.

2 Siehe Zitat im Original: “Subcultures represent ‘noise’ (as opposed to sound): interference in the orderly sequence which leads from real events and phenomena to their representation in the media. We should therefore not underestimate the signifying power of the spectacular subculture not only as a metaphor for potential anarchy ‘out there’ but as an actual mechanism of semantic disorder: a kind of temporary blockage in the system of representation” (Hebdige 1979 [2008]: 90)