More-than-human Musicking im Internet: Multispecies Music Memes auf TikTok

Ein Beitrag von Pascal Rudolph und Martin Ullrich


„The Internet is for Cats“ ist ein Sprichwort, das auf die digitale Omnipräsenz von Katzen im Internet abzielt. Die Kommunikationswissenschaftlerin Jessica Maddox betitelte ihr jüngstes Buch (2023) mit ebenjenem Satz. In diesem untersucht sie, welche Rolle Tiervideos und -memes in der Online-Ökonomie von Cuteness und Aufmerksamkeit spielen. In einer Werbung der Firma Samsung für das Mobiltelefon Nexus S 4G (2010) heißt es: „A phone this powerful can do almost anything, so now we can fill the Internet with even more cats!” Nicht zuletzt zeugt der eigene Wikipedia-Artikel zu „Cats and the Internet” (verfügbar in fünf Sprachen) davon, dass Cat Content (Korowin 2024) fester Bestandteil vergangener und gegenwärtiger Online-Kulturen ist.

Werbung für das Mobiltelefon Nexus S 4G (2010).

Internet und Katzen gehören also zusammen. Das ist nicht neu. Allerdings beobachten wir einen neuen Trend oder zumindest eine neue Ausprägung dieses Phänomens, die direkt mit der Plattform TikTok verbunden zu sein scheint. Wer schon mal längere Zeit auf TikTok verbracht hat, ist vermutlich auch hier auf Pet Content, einschließlich Cat Content, gestoßen. Wir konzentrieren uns hier vor allem auf letzteren, wobei unsere Überlegungen prinzipiell auch für andere nicht-menschliche Tiere gelten. Im Unterschied zu bisherigen Fotos, Videos und Memes sind die nicht-menschlichen Tiere auf TikTok jedoch auch häufig zu hören. Oft scheinen sie sogar mit Menschen zu musizieren. Beispiele gibt es viele, und ganze User-Profile – sowohl als menschlich als auch tierlich konstruierte Profile, wie im Falle des unten erwähnten ‘Catfluencers’ – fokussieren sich auf dieses Format. Ein prominentes Beispiel ist der südafrikanische Musiker The Kiffness, der mehrere virale Songs mit Katzen produziert hat – wie etwa Sometimes I’m Alone mit Catfluencer George Rufus the Lonely Cat.

@thekiffness

#duet with Lonely Cat 😿❤️ (credit: @kumatron.the.shiba on IG) #catsoftiktok #singingcat @Lookman TJ

♬ The Kiffness x Lonely Cat – The Kiffness
Sometimes I’m Alone von The Kiffness und George Rufus the Lonely Cat.

Diese neue Art des Memes wird durch das User Interface der App aktiv begünstigt. TikToker*innen interagieren mit verschiedenen Audiovorlagen durch Funktionen wie ‘Duett’, ‘Stitch’ und ‘Use this sound’. Mit ‘Stitch’ kürzen Nutzer*innen bestehende Videos und fügen diesen ein neues Ende hinzu, während es die Duett-Funktion ermöglicht, auf ein Video zu reagieren, indem man es neben dem Originalvideo filmt und somit musikalische oder klangliche Elemente hinzufügen kann. ‘Use this audio’ ermutigt Nutzer*innen hingegen, vorhandene Sounds und Musik für ihre eigenen Videos zu adaptieren. Durch Anklicken der aufgelisteten Sounds können Nutzer*innen erkunden, wie andere den gleichen Sound kreativ genutzt haben. Diese Funktionen machen Audio zum „driving template” und „organizing principle” auf TikTok (Abidin 2021, 80). In diesem Sinne funktionieren Sounds und Musik ähnlich wie Hashtags, indem sie virale Archive auf TikTok schaffen. Plattformen wie TikTok fördern daher insbesondere Memes, die sich um Klänge und Musik drehen. Crystal Abidin und D. Bondy Valdovinos Kaye bezeichnen diese Verschiebung hin zu Klang als eine bedeutende Entwicklung in der Meme-Ökologie und nennen sie den „Audio-Turn” (Abidin und Kaye 2021).

Num Num Cat TikTok Chain.

Das Multispecies Music Meme (MMM)

Das neue Mikrogenre, das nicht-menschliche und menschliche Tiere in musikalischer Hinsicht zusammenbringt, nennen wir Multispecies Music Memes. Wir erläutern kurz die drei M’s:

Der Begriff ‘Multispecies’ entstand aus ethnografischen Praktiken, die nicht-menschliche Akteure als aktive Teilnehmer*innen in Forschungsprozessen einbeziehen, was Eben Kirksey und Stefan Helmreich als “Multispecies Ethnography” bezeichnet haben (Kirksey und Helmreich 2010). Thom van Dooren, Kirksey und Ursula Münster haben das Konzept weiterentwickelt zu den Multispecies Studies, die Multispecies Ethnography mit diversen anderen Ansätzen kombinieren, die die relationale Verflechtung zwischen verschiedenen Spezies im Anthropozän betonen (van Dooren et al. 2016). In diesem Sinne verstehen wir die musikalischen Kollaborationen zwischen nicht-menschlichen und menschlichen Tieren auf TikTok als Beispiel für Ko-Kreativität in einem Multispecies-Kontext.

Wir fokussieren uns nicht auf audiovisuelle Memes, die allgemein Klang beinhalten, sondern auf Memes, die spezifisch Musik nutzen. In diesem Zusammenhang beziehen wir uns auf Christopher Smalls Konzept des “Musicking”, das er wie folgt definiert: „To music is to take part, in any capacity, in a musical performance, whether by performing, by listening, by rehearsing or practising, by providing material for performance (what is called composing), or by dancing” (Small 1998, 9). Small betont, dass Musik eine Handlung ist, kein bloßes Objekt; in seiner Definition ist es etwas, das Menschen tun. Alle Anwesenden nehmen an dieser Handlung teil, egal ob sie auf der Bühne stehen oder im Publikum sitzen. Mit seinem einflussreichen Ansatz fordert Small uns auf, inklusiv und nicht-hierarchisch darüber nachzudenken, was menschliche Musik definiert. Aufbauend auf dieser bei Small noch anthropozentrischen Perspektive wollen wir auch nicht-menschliche Tiere in diesen Reflexionsprozess über Musicking-Praktiken einbeziehen.

Das letzte M steht für das Konzept des Memes. Ursprünglich wurde das Meme vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins als Analogie zum Gen als Einheit der Replikation von Informationen theorisiert. Dawkins skizzierte diese Theorie in seinem einflussreichen und kontroversen Buch The Selfish Gene (1976) als hypothetischen Träger des kulturellen Transfers. Dawkins prägte das Konzept des Memes im Sinne der Replikation. Es geht ihm dabei im Wesentlichen um Imitation; die Philosoph*innen Daniel Dennett und Susan Blackmore haben Dawkins’ Impuls dann systematisch zur Memetik weiterentwickelt (Dennett 1995, Blackmore 1999). Mit dem Aufkommen des World Wide Web und der Verbreitung von sozialen Medien wandelte sich das Konzept zu einem internet-spezifischen Phänomen. Limor Shifman definiert ein Internet-Meme als „(a) a group of digital items sharing common characteristics of content, form, and/or stance, which (b) were created with awareness of each other, and (c) were circulated, imitated, and/or transformed via the Internet by many users” (2014, 41). Shifmans Definition wird in der Meme-Forschung häufig verwendet, vielleicht wegen ihrer breiten Ausrichtung.

MMMs der Kategorie (b).

Zusammengefasst: Multispecies Music Memes (MMMs) sind Internet-Memes, die verschiedene Spezies (a) an einer musikalischen Performance beteiligen und/oder (b) mit einer Kommentierung von musikkulturellen Aspekten verbinden und/oder (c) in Verbindung mit meme-definierenden Sounds oder Musik bringen.

Diese Definition schließt ‚stille‘ Memes über Musik ein, die verschiedene Spezies involvieren (b), etwa im Kontext des Internet-Phänomens ‘LolCats’, bei dem humoristische Katzenbilder mit orthographisch falschem Text (‘LolSpeak’) versehen werden (Galloway 2023). Zudem umfasst die Definition auch Memes, die nicht-menschliche Tiere und menschlich-produzierte Musik (c) enthalten. Ein Beispiel ist das ‘Sad Hamster’-Meme (auch bekannt als Violin Hamster). Dieses Meme, das online an Popularität gewann, zeigt den Hamster Tifa mit komisch übergroßen Augen, scheinbar emotional reagierend, oft mit humorvollen Untertiteln oder Überarbeitungen, die jugendliche Unverantwortlichkeit thematisieren. Da die begleitende ‚traurige‘ Violinmelodie (Richard Myhills Woe Is Me!) dieses Memes definiert, fällt es in die Kategorie (c). Für unsere erste Erkundung hier konzentrieren wir uns auf Memes, die die tatsächlichen Stimmen von nicht-menschlichen Tieren enthalten. Wir nutzen den Begriff ‘Stimme’ sowohl als vokale Äußerung im akustischen Sinne als auch als Träger von (nicht-menschlicher) Handlungsmacht im politischen Kontext.

MMMs der Kategorie (c): Das „Sad Hamster“-Meme.

Ästhetische Strategien: Rekontextualisierung und Bearbeitung

Obwohl es zahlreiche Ausprägungen dieses Mikrogenres gibt, lassen sich zwei grundlegende ästhetische Strategien bei MMMs identifizieren: Rekontextualisierung und Bearbeitung. Beide lassen sich typologisch zur Abgrenzung von zwei Kategorien nutzen.

Erstens gehen MMMs häufig mit der Rekontextualisierung von Klängen nicht-menschlicher Tiere sowie dazugehöriger Videos einher. Rekontextualisierung bedeutet, nicht-menschliche Tierklänge in einen neuen Rahmen zu setzen, der unsere Wahrnehmung dieser Klänge verändert. Beispielsweise verändert das Hinzufügen von Text, musikalischer Notation oder musikalischer Begleitung zu den Klängen nicht-menschlicher Tiere die Art und Weise, wie wir diese Klänge wahrnehmen. Diese Arten der Rekontextualisierung bilden ganze Subgenres von MMMs. Ein weiteres Beispiel ist der TikTok-Kanal von Hiroki Takahashi, auf dem er hauptsächlich nicht-menschliche Tierklänge auf einem Keyboard begleitet. Ähnlich wie beim Experiment des „sprechenden Klaviers” können wir des Weiteren geschriebene Worte mit nonverbalen Klängen assoziieren (siehe das Video zu Deus Cantando). Im Eingangsbeispiel Sometimes I’m Alone haben wir eine solche Verbalisierung und Semantisierung von Katzenlauten. Durch das Hinzufügen von Text werden die Geräusche der Katze anthropomorphisiert. Ob dies als ein Beispiel für Anthropomorphismus im negativen Sinne oder als ein Fall von kritischem Anthropomorphismus einzustufen ist, steht zur Debatte. Kritischer Anthropomorphismus wurde als ethologisches Konzept von Burghardt (1985) eingeführt, das es Menschen ermöglicht, das Verhalten anderer Tiere im Lichte mentaler Zustände zu interpretieren, die Menschen zugeschrieben werden, ohne dabei in eine naive Projektion zu verfallen.

@hirokisan79

@mihailkoty さんと一緒に #duet 元動画は音源ボタンから #猫 #猫ソング #cat #song

♬ оригинальный звук – Михаил🐱
„Cat Song“ von Hiroki Takahashi und Catfluencer Mihailkoty.
„Deus Cantando (God, singing) for computer-controlled piano and screened text” (2009) von Peter Ablinger.

Zweitens weisen die Klänge nicht-menschlicher Tiere und die dazugehörigen Videos innerhalb von MMMs häufig eine digitale Bearbeitung auf, wie etwa Tonhöhenänderung, Time-Stretching oder Schnitte. Bei MMMs dieser Kategorie rückt die Bearbeitung oft in den Vordergrund. Während die Rekontextualisierungspraxis ermöglicht, Klänge in einem neuen audiovisuellen Kontext zu hören, scheint das ästhetische Vergnügen von MMMs, die sich auf digitale Aneignung konzentrieren, darin zu liegen, hyper-mediatisierte nicht-menschliche Vokalisationen zu hören. Dazu gehören virale Memes, in denen Katzenvokalisationen zu Nokia-Klingeltönen oder musikalischen Covers bearbeitet werden. Auch diese bilden ganze Subgenres von MMMs. Zum Beispiel besteht der beliebte TikTok-Kanal @benny_cat_family hauptsächlich aus stark bearbeiteten Videos der Katze Benny. Die Musikcover werden durch digitales Pitch-Editing und zahlreiche Schnitte erstellt. Durch Kleidung und Requisiten wird eine zusätzliche Anthropomorphisierung erreicht. In diese Kategorie mit ausgeprägter Anthropomorphisierung lassen sich auch die KI-generierten Katzenfilme einordnen, die von musikalischen Covern begleitet werden – zuletzt häufig Billie Eilishs 2023er Lied What Was I Made For?, bei dem Eilishs Stimme durch KI-generierte Katzenvokalisationen ersetzt wird.

Aquas “Barbie Girl” als Cover von Benny Cat Family
Billie Eilishs „What Was I Made For?” (2023) als virales Cat AI Cover.

Rekontextualisierung und Bearbeitung schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, meistens weisen MMMs sowohl eine Rekontextualisierung als auch eine Bearbeitung auf. Auch hier lässt sich auf unser Eingangsbeispiel verweisen. Wenngleich Sometimes I’m Alone stärker zur Rekontextualisierung denn Bearbeitung tendiert, haben wir auch hier (recht subtile) Videoschnitte und eine digitale Klangbearbeitung, die Rufus’ Portamento verschwinden lässt und seine Tonhöhen der musikalischen Begleitung anpasst. Daher lassen sich diese zwei ästhetischen Strategien eher als Pole eines Spektrums denken, auf dem sich die meisten MMMs dazwischen verorten lassen.

Ethische Aspekte: Zwischen Ausbeutung und Empathie

In der modernen westlichen Gesellschaft werden diskursiv oft scharfe Trennlinien zwischen dem ‘Menschlichen’ und dem ‘Tierischen’ gezogen, ein Konzept, das in der Philosophie als “anthropologische Differenz” bezeichnet und unter anderem von Markus Wild (2008) und Matthew Calarco (2020) kritisch hinterfragt wird. Diese Trennung wird durch Bilder, Sprache, aber auch durch Klänge und Musik konstruiert. Betrachtet man das Phänomen Multispecies Music Memes auf TikTok, fällt auf, dass die Pointe oft die gleiche ist. Sie beruht auf folgendem Mechanismus: Diese TikTok-Videos sind nur unter der Annahme lustig, dass diese nicht-menschlichen Tiergeräusche eigentlich keine Musik darstellen würden. Erst durch Umdeutung und Aneignung wird das, was wir hören, als menschlicher Musik ähnlich erkennbar. Das ist der Witz. TikTok-Nutzer*innen eignen sich die mediale Darstellung von nicht-menschlichen Tieren an und verzerren sie für ihre eigenen Musicking-Praktiken, indem sie sie in den Rahmen eines menschlichen Musikverständnisses pressen.

Eine kritische Interpretation von MMMs im Sinne der Dekonstruktion einer ausbeuterischen Mensch-Tier-Beziehung könnte lauten: Die Videos nicht-menschlicher Tiere werden zum Material, das von menschlichen Musiker*innen geformt wird. Durch digitale Manipulationen wie Pitch-Editing oder Videoschnitte offenbaren sich die nicht-menschlichen Tiervideos als digitale musikalische ‚Instrumente‘, die von menschlichen Musiker*innen neben ihren anderen Instrumenten gespielt werden. Durch die (in diesem Fall nicht kritische) Anthropomorphisierung nicht-menschlicher Tiere und die Manipulation ihrer Stimmen fordern solche MMMs die zugrunde liegende Vorstellung, dass Menschen sich von nicht-menschlichen Tieren unterscheiden, nicht heraus, sondern schreiben sie fort und verfestigen sie.

In einer zweiten, optimistischeren Interpretationsweise könnten MMMs das Potenzial eines empathischeren Hörverhaltens von Menschen gegenüber den Stimmen und Klängen nicht-menschlicher Tiere attestiert werden. Diese alternative Interpretation ist inspiriert von der flachen Ontologie der Akteur-Netzwerk-Theorie (Latour 2005), die reziproke Beziehungen und Kollaborationen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Freiheitsgraden und Begrenzungen vorschlägt. In dieser Lesart sind die technologischen Elemente des kollaborativen Settings ebenso Teil des Beziehungsnetzwerks wie die nicht-menschlichen und menschlichen Tiere. Nicht-menschliche Tiere, die in der Regel nicht so autonom sind wie Menschen, besitzen Agency – ein Begriff, den die Human-Animal Studies, die sich der Erforschung kulturell geprägter Mensch-Tier-Beziehungen widmen (DeMello 2012, Marvin und McHugh 2014, Kompatscher et al. 2017, Shapiro 2020), aus den Postcolonial Studies übernommen haben, wo die Handlungsmacht der Subalternen und Diskriminierten oft als subversiv und kontrapunktisch zu den kolonialen Mächten gesehen wird. Wenngleich nicht-menschliche Tiere nicht in den weiteren Produktionsprozess involviert sind, bilden ihre Vokalisationen oft den Ausgangspunkt und ein zentrales Element des Memes. Diese Vokalisationen stellen häufig spontane und individuelle Äußerungen dar, die höchstwahrscheinlich mit affektiven Bedeutungen einhergehen, auch wenn eine menschliche Interpretation ganz anders ausfallen kann. Diese zweite Interpretation erinnert an Kirkseys und Helmreichs Verständnis der Reziprozität in der Multispecies Ethnography: “Animals may act as anthropologists themselves, studying the behavior of humans who feed, shepherd, and breed them […]” (Kirksey und Helmreich 2010: 552). Folgt man diesem Verständnis, hätten MMMs zumindest das Potenzial, die weitere Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehungen in und durch Musik in eine positive Richtung zu beeinflussen – nicht nur für Menschen, sondern auch für andere Spezies.

Eine kritische Diskussion verschiedener MMMs würde wahrscheinlich zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der affirmativen oder subversiven Haltung gegenüber den Machtverhältnissen zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren auf Einzelfallbasis führen. Dennoch sehen wir eine allgemeine Korrelation zwischen diesen beiden Lesarten und den ästhetischen Strategien. Im Gegensatz zu solchen MMMs, bei denen das ästhetische Vergnügen in der Wahrnehmung hyper-mediatisierter nicht-menschlicher Vokalisation liegt, bietet die subtile audiovisuelle Aneignung in anderen MMMs ästhetisches Vergnügen, indem ‚authentische‘ nicht-menschliche Vokalisation in einen neuen Kontext gestellt wird. Diese Rekontextualisierung verwandelt etwa ‘niedliche’ nicht-menschliche Vokalisation in Lead Vocals eines menschenähnlichen Liedes. Solche MMMs scheinen eher darauf abzuzielen, die Erkenntnis „oh, diese Katzengeräusche können tatsächlich als Musik gehört werden“ zu wecken statt „diese Geräusche können zu Musik bearbeitet werden“.

In den beiden Szenarien tragen die Entscheidungen der TikTok-Musiker*innen dazu bei, entweder die anthropologische Differenz zu konstruieren oder zu dekonstruieren. Alle Medienformen, einschließlich dieser Kurzvideos, haben die Fähigkeit, Prozesse der Identifikation und des Otherings zu prägen, ebenso wie sie Interspezies-Empathie fördern oder den Mythos des menschlichen Exzeptionalismus perpetuieren können. Daher sind die Einsätze hoch in der Mikropolitik der Alltagsästhetik, wenn man diese auch auf ethische Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung anwendbar macht. Wiewohl dieser Text ob seiner Kürze nur eine erste tastende Annäherung an dieses Thema sein kann (eine umfassendere Publikation ist in Arbeit), wird bereits deutlich, dass die Differenz zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren in dieser digitalen Musicking-Praxis neu verhandelt wird – eine Praxis, die weit mehr Potenzial in sich birgt, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.


Über die Autoren:

Vertr.-Prof. Dr. Pascal Rudolph, Universität zu Köln und Hochschule für Musik Nürnberg, Forschungsschwerpunkte: Filmmusik und Filmsound, Performance Studies, Popular Music Studies; Kontakt: pascal.rudolph@uni-koeln.de

Prof. Dr. Martin Ullrich, Hochschule für Musik Nürnberg, Forschungsschwerpunkte: Human-Animal Studies, Tiere und Musik, Musik und Künstliche Intelligenz; Kontakt: martin.ullrich@hfm-nuernberg.de

Literatur

Abidin, Crystal. 2021. „Mapping Internet Celebrity on TikTok: Exploring Attention Economies and Visibility Labours.” Cultural Science Journal 12 (1): 77–103.

Abidin, Crystal und D. Bondy Valdovinos Kaye. 2021. “Audio Memes, Earworms, and Templatability: The ‘Aural Turn’ of Memes on Tiktok”. In Critical Meme Reader: Global Mutations of the Viral Image, herausgegeben von Chloë Arkenbout, Jack Wilson und Daniel de Zeeuw, 58–68. Amsterdam: Institute of Network Cultures. 

Blackmore, Susan. 1999. The Meme Machine. Oxford/New York: Oxford University Press.

Burghardt, Gordon M. 1985. „Animal Awareness: Current Perceptions and Historical Perspective”. American Psychologist 40 (8): 905–919. https://doi.org/10.1037/0003-066X.40.8.905.

Calarco, Matthew. 2020. Beyond the Anthropological Difference. Elements in Environmental Humanities. Cambridge: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108862769.

Dawkins, Richard. 1976. The Selfish Gene. Oxford: Oxford University Press.

DeMello, Margo. 2012. Animals and Society: An Introduction to Human-Animal Studies. New York: Columbia University Press.

Dennett, Daniel C. 1995. Darwin’s Dangerous Idea: Evolution and the Meanings of Life. New York: Simon & Schuster.

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Kompatscher, Gabriela, Reingard Spannring und Karin Schachinger. 2017. Human-Animal Studies: Eine Einführung für Studierende und Lehrende. Münster/New York: UTB.

Korowin, Elena. 2024. Cat Content. Die Geschichte des digitalen Katzenkults. Berlin: Klaus Wagenbach.

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