Call for Papers | Literatur und Podcast: Inszenierungsformen – Rezeptionsmodelle – Wissenskommunikation

Interdisziplinäre Tagung

Zeitraum der Tagung: 27.06.2024 – 29.06.2024

Ort: Universität Würzburg

Deadline für Abstracts: 20.10.2023


Organisation:
Prof. Dr. Stephanie Catani, Sonja Schmalenberger, David Selzer (Lehrstuhl für Neuere deutsche
Literaturgeschichte, Universität Würzburg)

Der Podcast boomt: 2022 gaben 43 % aller Befragten in Deutschland an, mindestens hin und
wieder Podcasts zu hören – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 14 % im Jahr 2016. Im
Zeitalter der Digitalisierung verfügt nahezu jede:r über den Zugang zu Podcasts, deren
Bedeutung als „Raum politisch-medialer Kommunikation“ (Lührmann 2019) kaum zu
überschätzen ist. On demand gehört, ist der Podcast ein Medium der Ungleichzeitigkeit, das
seinen Nutzer:innen erlaubt, Zeit und Ort des Hörens ebenso autonom zu bestimmen wie das
gewünschte Thema.
Der Einfluss des Podcasts auf den Literaturbetrieb der Gegenwart macht sich auf
verschiedenen Ebenen bemerkbar: Buchhandlungen und Verlage wie Hugendubel (Seite an
Seite
), Reclam (ReclamNation) oder Suhrkamp (Dichtung und Wahrheit und Suhrkamp
espresso
) haben das Medium als Marketinginstrument und neue Werbefläche längst für sich
entdeckt. Auch nicht verlagsgesteuerte Podcasts geben Einblicke in den Literaturbetrieb (z.B.
Der Manuskripte Zähmung und Verlagsniveau – Der Selfpublishing Podcast). ‚Gehörte‘
Literaturkritik findet in Formaten wie Lesestoff, Monatslese, ZEIT für Literatur und Zwei Seiten
statt und jungen wie etablierten Autor:innen bieten Podcasts neue Bühnen und Reichweiten
(z.B. 1LiveStories, Auf ein Buch und LiteraturPur). Nicht zuletzt im Bereich der literarischen
Bildung und Wissensvermitlung (z.B. Laberfach, LiteraturkABInett) hat sich das Medium
erfolgreich platziert – und stellt hier sein pädagogisches und didaktisches Potenzial unter
Beweis. (Arnold 2011; Klinovská/Kucharová/Kunovská 2022).
Mit dem gerade erst volljährig gewordenen Medium, das grundsätzlich ein eher jüngeres
Publikum erreicht (die meisten Podcast-Konsument:innen gehören zur Altersgruppe der 14-
bis 29-Jährigen), erschließen sich Literaturkritik und Literaturmarketing eine Zielgruppe, die im
Zeitalter des On-Demand-Streamings durch Fernsehen, Radio und Feuilleton nur noch selten
erreicht wird. Zudem machen die medienspezifische Serialität und Flüchtigkeit den Podcast
zum Instrument einer Popkultur, deren Popularisierungsstrategien, Celebrity-Kultur sowie ein
Miteinander von seichten und ernsten Themen die Relevanz und Funktion des Mediums
bestimmen und tradierte Gatekeeper (Feuilleton, TV-Kritik etc.) auszuhebeln scheinen.

Das Verhältnis von Literatur und Podcast ist, abgesehen von Studien zu Konsumverhalten
(Rampf 2008) oder Marketingstrategien (Diemand 2007; Hammerschmidt 2022), sowohl
literatur- als auch medienwissenschaftlich weitgehend unerforscht: Die Einflussnahme des
Mediums auf tradierte Begrifflichkeiten der Literaturwissenschaft (Autorschaft, Leser:in,
Kanon, Medialität), spezifische Rezeptionsformen und Strategien literarischer Wertung
blieben bislang unberücksichtigt.

Wir begrüßen daher Vorschläge für (theoretische, methodologische, empirische, literatur- wie
medienanalytische) Beiträge, die u.a. auf folgende Themenschwerpunkte eingehen:

Podcast, Wissensvermittlung und Wissenskommunikation
Podcasts speichern Wissen und sind zugleich auf dessen Vermittlung und Kommunikation
ausgerichtet. Wenig überraschend wird der Podcast zu einem immer bedeutsameren
WissKomm-Medium (z.B. Wisskomm-Quartett, ZEIT für WissKomm), das auch für die
Vermitlung literarischen, literaturhistorischen und literaturwissenschaftlichen Wissens in
größeren Podcasts (z.B. radioWissen, ZeitZeichen) oder spezifisch auf den Literatur- und
Theaterbetrieb ausgerichteten (Playspotting, Frontispiz, LitPod, Lyrikschule) relevant wird.
Podcasts erlauben eine niedrigschwellige Aufbereitung der Inhalte in einer informellen
Gesprächssituation – nicht zufällig existieren zahlreiche Podcasts zur Abiturvorbereitung.
Wissensvermitlungs-Podcasts für Schüler:innen, Student:innen und Lehrer:innen (z.B.
Laberfach, LiteraturkABInett, Lyrikschule, KS1 Podcast und LitPod) bereiten literarische
Themen und Werke didaktisch auf, profilieren und kanonisieren sie. Neu ist hier die Rolle von
Literaturwissenschaftler:innen, die im Rahmen von Podcast-Interviews auch außerhalb
universitärer und streng akademischer Diskurse als ‚neue‘ Expert:innen auftreten (z.B. Goethe
speaks out!
, Hörsaal, Literatur im Dialog, Deep Dive Podcast und Praktisch Theoretisch
Podcast
).

Literatur als Podcast – Podcast als Literatur
Als literarisches Genre lässt sich der Podcast dort diskutieren, wo er, wie auch das Hörspiel
oder das Hörbuch, Literatur als Performance inszeniert (Klotz 2022) oder als Medium des
Storytellings agiert (Preger 2019). Formen der (Re-)Inszenierung von Literatur (z.B.
Hoerspielprojekt.de Podcast, Lesungen von Bayern 2 und Reclam Hörbücher) sind im Podcast
deutlich prominenter vertreten als Erstveröffentlichungen oder (Ur-)Aufführungen
literarischer Werke (z.B. Es war vielleicht einmal – Der Fanfiction Podcast). Gerade in den
Podcasts öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (z.B. radioWissen und ZeitZeichen) werden
die Biografien kanonischer Autor:innen nicht einfach dokumentarisch berichtet, sondern in
fiktionalisierter Form erzählt. Auch das äußerst populäre Podcast-Genre ‚True Crime‘ fällt durch
seine Literarisierungs- und Fiktionalisierungsstrategien auf, wenn es Realverbrechen in
durchkomponierter Form kriminalliterarisch nacherzählt (z.B. Die Spur der Täter, Mordlust und
ZEIT Verbrechen).

(Selbst-)Inszenierungen von Autorschaft im Podcast
Am Podcast lassen sich dort Inszenierungsstrategien von Autorschaft untersuchen, wo
zahlreiche Gegenwartsautor:innen wie Sybille Berg (Fest & Flauschig, Apokalypse und
Filterkaffee
, FREIHEIT DELUX, Hotel Matze, Zart bleiben), Kim de l’Horizon (Alles gesagt),
Benjamin von Stuckrad-Barre (Feelings, 1LiveStories, Hotel Matze, Podkinski) oder Juli Zeh
(Cicero Podcast, Alles gesagt, Hotel Matze) im Gespräch mit Podcaster:innen über ihr Werk,
ihr schriftstellerisches Selbstverständnis und den Literaturbetrieb reden oder mitunter auch
eigene Podcasts anbieten (WG Wesensfremd, Edle Federn). Autor:innen werden dabei nicht
selten als moralische Instanzen etabliert, die sich zu öffentlichkeitswirksamen Diskursen und
Narrativen positionieren. Zugleich fallen, verfolgt man die Bewegungen einzelner Autor:innen
durch die Podcast-Landschaft, Netzwerkstrukturen auf, die sich popkulturell und
popliterarisch auswerten lassen.

Rezeptionsmodelle und Strategien literarischer Wertung
Podcasts führen mit ihrer Medienspezifik zu neuen Formen der literarischen Rezeption und zu
Lektüreerfahrungen, die, darin dem Hörspiel und dem Hörbuch ähnlich, aufgrund der
‚gehörten‘ Literatur auditiv, mitunter auch seriell oder fragmentarisch bestimmt sind.

Der Podcast thematisiert individuelle wie kollektive Lektüreerfahrungen unterschiedlichster
Leser:innen, kommentiert und reflektiert sie nicht nur (z.B. blauschwarzberlin, Die Buch, F.A.Z.-
Bücher-Podcast
, literaturcafe.de, Papierstau Podcast und wortreich), sondern greift mit seinen
literaturkritischen Positionierungen in Kanonisierungsprozesse ein (z.B. Die Literaturagenten,
eat.READ.sleep, Lesart, SWR2lesenswert, FAZ Bücher-Podcast, Lesestoff, Zwei Seiten,
Literatursenf). Insofern bildet das Medium mit den ihm eigenen Strategien literarischer
Wertung und Kritik durchaus einen relevanten Gatekeeper im Literaturbetrieb der Gegenwart.

Vorbehaltlich der Finanzierungszusage werden die Reisekosten der Teilnehmer:innen
übernommen. Die Beiträge sollen im Anschluss an die Tagung publiziert werden.

Bitte senden Sie bis zum 20. Oktober 2023 ein Abstract (max. 1 Seite) für einen 25-minütigen
Vortrag sowie einen kurzen wissenschaftlichen CV an folgende Mail-Adressen:

david.selzer@uni-wuerzburg.de
sonja.schmalenberger@uni-wuerzburg.de

Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturgeschichte
Universität Würzburg
Institut für deutsche Philologie | Neuere Abteilung
Am Hubland, Raum 4.O.8
97074 Würzburg | Deutschland
+49 (0) 931 31-88610 | – 85640 (Sekretariat: Gabriele Knies)
https://www.germanistik.uni-wuerzburg.de/ndl1

Literatur:
Arnold, Patricia: Podcast, in: dies.: Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien, 2., erw.,
aktualis. u. vollst. überarb. Aufl., Bielefeld 2011, S. 181–185.
Diemand, Vanessa: Weblogs, Podcasting und Videojournalismus. Neue Medien zwischen demokratischen und
ökonomischen Potenzialen, Hannover 2007.
Hammerschmidt, Doris: Das Podcast-Buch. Strategie, Technik, Tipps – mit Fokus auf Corporate-Podcasts von
Unternehmen & Organisationen, Freiburg i. Br./München/Stuttgart 2022.
Klinovská, Sára/Kucharová, Jana/Kunovská, Ingrid: Einsatzmöglichkeiten von Podcasts im DaF-Unterricht beim
Hörverstehens- und Grammatiktraining, Hamburg 2022 (= Schriftenreihe Lingua, 63).
Klotz, Peter: Hörspiel und Hörbuch. Literatur als Performance, Berlin 2022.
Lührmann, Katharina: Podcasts als Raum politisch-medialer Kommunikation, Baden-Baden 2019 (= Literatur und
Medien, 9).
Preger, Sven: Geschichten Erzählen. Storytelling für Radio und Podcast, Wiesbaden 2019.
Rampf, Barbara: Podcastnutzer – Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Darstellung des deutschen
Podcastangebotes und eine Typologisierung seiner Nutzer, München 2008 (= Angewandte
Medienforschung, 44).