Bericht | Symposium »Sound Arts im Spannungsfeld von elektroakustischer Musik und Medienkunst« in Bern

15.–17.9.2022, Studiengang Sound Arts an der Hochschule der Künste Bern (HKB)

Bericht: Peter Färber, ICST Zürich


Donnerstag, 15.9.2022

Das Symposium wurde durch die Fachbereichs-, Instituts- und Studiengangsleitung eröffnet. Daniel Weissberg und Roman Brotbeck thematisierten in ihren Eröffnungsvorträgen die Zeit der Entstehung des heutigen Studienganges Sound Arts an der Hochschule der Künste Bern HKB, der in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiern kann. Der Komponist und langjährige Studiengangsleiter Daniel Weissberg (Basel) schilderte in seinem Vortrag »Ja, mach nur einen Plan« die Entwicklung aus der Perspektive eines der sechs Dozierenden, die 1999 den Auftrag erhielten, eine Vertiefung Multimedia im Studienbereich Jazz der damaligen Hochschule für Musik und Theater zu planen. Die unterschiedlichen Interessen dieser Dozierenden und die äusseren Umstände brachten es mit sich, dass ein eigenständiger Studiengang im Bereich Elektroakustischer Musik etabliert werden konnte. »Musik und Medienkunst« hiess er bis 2018, als der Namenswechsel zu Sound Arts vollzogen wurde, was die inhaltliche Zielrichtung der Ausbildung präziser benennt. Roman Brotbeck (Chassigny-sous-Dun) wiederum vermittelte in seinem Vortrag »Un Perturbateur – die Anfänge von Sound Arts in Bern« die Entstehung des Studienganges aus der Sicht des Direktors der Hochschule für Musik und Theater Bern und Biel (1999–2003). Nach ihrer Gründung wurden die vier ehemaligen Teilschulen aufgefordert, Ideen für Forschung, Weiterbildung und Dienstleistungen zu entwickeln. Durch geschicktes Verhandeln auf politischer Ebene und in den Steuerungsgremien für die Akkreditierungen der Studienangebote gelang es schliesslich, den Studiengang zu etablieren und in den Räumen der Musikabteilung an der Papiermühlestrasse mitsamt einem Tonstudio unterzubringen.

Die anschliessende Roundtable 1 zum Thema »Sound Arts in der Lehre« wurde von Michael Harenberg moderiert. Leo Hofmann berichtete aus der Perspektive des ehemaligen Studenten. Cathy van Eck wurde als erste neue Dozentin 2007 angestellt. Die Komponistin Sabine Schäfer schilderte ihre Erfahrungen mit den Studierenden in den vielen Workshops und Seminaren, die sie als Gastdozentin betreute. Angela Bürger war zu jenem Zeitpunkt (2002) Leiterin der Freien Akademie der HKB und kam anlässlich des mehrtätigen, rhizomatischen Festivals EMIT-TIME zur Eröffnung des Studienganges in Berührung mit diesem. Diskutiert wurde die inhaltliche und ästhetische Breite des für alle Genres offenen Studiengangs, der damals ein ganz neues Studienangebot darstellte und seine Relevanz in der Zwischenzeit bewiesen hat. Auf hohem Niveau wurden von Beginn an die inhaltlichen musikalisch-künstlerischen Fragen ins Zentrum der Lehre gerückt.

Freitag, 16.9.2022

Die Vorträge des zweiten Symposiumstages befassten sich mit der theoretischen und ästhetischen Verortung der Sound Arts.

Michael Harenberg (Bern) erörterte in seinem Vortrag »Maschinen des Virtuellen. Auf der Suche nach dem Symbolischen« das Spannungsverhältnis zwischen »der technischen Verfasstheit unserer heutigen digitalen Werkzeuge und der Geschichte musikalischer Gestaltungsmöglichkeiten im Symbolischen der Notenschrift«, das von Anfang an in die Konzeption des Studienganges eingeflossen ist und diesen bis heute prägt. Die Gründung des Studienganges fiel mit dem Beginn der Digitalisierung zusammen, als viele Studio-Hardware und damit auch die entsprechenden Verfahren in die Rechner transferiert wurden. Dieser neue Zugang zur Klangerzeugung, -bearbeitung und -produktion löste einen tiefgreifenden techno-kulturellen Wandel aus, der zu neuen Ästhetiken und Genres führte, die von Anfang an im Studiengang reflektiert wurden.

Die Musikwissenschaftlerin Kersten Glandien (Brighton) referierte in ihrem Vortrag »Relational Sound. Attempting an Inventory«, wie eine thematische Abgrenzung auf dem Gebiet der Klangkunst einen Stich in ein »akademisches Hornissennest« bedeutet hätte. Da die akademische Forschung zu lange die Klangkunst durch die Anwendung abstrakter Theorien von oben nach unten definiert und damit eine Kategorisierung geschaffen habe, aus der alle Werke herausfielen, die nicht diesen ästhetischen Kriterien und bestimmten Konzepten entsprachen, plädierte Kersten Glandien für eine Theoriebildung von unten nach oben. Diese solle zunächst die Entwicklungen in der Kunstpraxis beobachten und dann relevante theoretische Fragestellungen formulieren. Auch in der Vermittlung von Kunst müsse man bessere Wege finden, um auf die steten Veränderungen in der künstlerischen Praxis reagieren zu können.

Es folgte ein über Zoom gehaltener Vortrag der Tanz- und Musikwissenschaftlerin Stephanie Schroedter (Wien): »Zur Körperlichkeit von Klängen und klanglicher Performanz. Methodische Überlegungen zur Analyse von Sound Art«. Hier ging es einerseits darum, auf die Körperlichkeit von Klängen selbst und Potenziale ihrer klanglichen Performanz als akustische Bewegungsphänomene hinzuweisen, die von der Autorin als essenzielle Voraussetzung für perzeptionsanalytische Untersuchungen verstanden werden. Andererseits wurde betont, dass auch Störungen von Emergenzerfahrungen keinesfalls ein »Dis-Embodiment« der Perzipierenden bedingen, sondern auch dieses Phänomen zu einer Steigerung der auditiven Wahrnehmung beitragen kann.

Der Musikwissenschaftler Rolf Großmanns (Lüneburg) Vortrag »Soundart-Medien-Material. Pädagogische Konsequenzen des Medienwandels für Gestaltung und Instrumentalspiel« blickte in die internationale Geschichte der Sound Arts. Bereits Ende der 1990er-Jahre war die Ars Electronica eines der grossen Zentren des Diskurses. Heute gibt es dagegen kein Festival mehr, von dem man sagen könnte, dass es alles zusammenbringt, was in diesem Bereich aktuell wäre. Nach vielen Jahren der Entwicklung und Etablierung digitaler Medien werde im 21. Jahrhundert noch immer gefragt, ob sich mit ihnen die Effizienz beispielweise des Musikunterrichts steigern ließe. Dies sei allerdings die falsche Frage: Es gehe nicht um eine Leistungssteigerung mittels digitaler Medien, sondern darum, ihre Wirksamkeit und Existenz in der Kultur zu begreifen und adäquat mit ihnen umzugehen. Das führe unter anderem auch dazu, dass das musikalische Training von Virtuosentum kein vorrangiges Lernziel an Musikhochschulen mehr sein könne. Vielmehr solle man lernen, die Medien für eine inhaltlich breite künstlerische Ausbildung einzusetzen.

Der Komponist Klarenz Barlow (Barcelona) gab in seinem Vortrag »Über meine algorithmische Erzeugung von Audio und Video« anhand von vier Stücken einen Einblick in sein kompositorisches Arbeiten mit algorithmischen Strukturen. Es sind jeweils außermusikalische mathematische oder physikalische Phänomene, die in den musikalischen Werken be- und verarbeitet werden.

Der anschließende Roundtable 2 zum Thema »Ästhetik elektroakustischer Künste heute« mit Kersten Glandien, Daniel Weissberg, Vanessa Gageos und Andrea Gohl wurde von Teresa Carrasco moderiert.

Die aktuelle Leiterin des Studiengangs Teresa Carrasco eröffnete die Runde mit einigen Fragen: Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Brighton, Berlin, der Schweiz? Welche Herausforderungen bestehen? Kersten Glandien erläuterte, dass die Entstehung des Studienganges in Brighton ähnlich verlaufen ist wie in Bern, wenn auch die Startpositionen unterschiedlich waren. Vanessa Gageos erinnert sich als Alumna, dass für sie die Ausbildung an der HKB durch ihre Offenheit und die Ernsthaftigkeit der künstlerischen Auseinandersetzung eine besondere Qualität hatte. Daniel Weissberg wiederum betonte den glücklichen Umstand, mit Michael Harenberg von Anfang an auch einen Musik- und Medienwissenschaftler dabei gehabt zu haben, was im Musikkontext unüblich war. Mit ihm fand nicht nur das Denken in, sondern auch über Musik und Kunst statt.

Samstag, 17.9.2022

Am letzten Symposiumstag wurden drei Vorträge gehalten, die einen Blick in die Zukunft wagten. Teresa Carrasco (Bern) ging in ihrem Vortrag »Updating the Update. Perspektiven der Klangkunst inmitten der aktuellen Krise und zukünftiger Ungewissheiten« den Fragen nach, ob unsere Erfahrungen und Kreationen durch die sozialen Medien zur Massenware wurden und welche Rolle Klangkünstler*innen inmitten der aktuellen Probleme von Klimawandel, Pandemie, Krieg, Energiekrisen spielen sollten. Sie plädierte dafür, dass sich Künstler*innen aktiv mit diesen Fragen beschäftigen und sich mit ihren Möglichkeiten einmischen sollten. Musik und Kunst könnten so einen wichtigen Beitrag für die gesellschaftliche Reflektion dieser Probleme leisten. Der Komponist Johannes S. Sistermanns (Bornheim) entnahm den Titel für seinen Vortrag »Wer immer weiß, was er will, verfehlt sein UnWissen« einem Zitat von Niels Bohr. Mit dem Einsatz von Technik seien wir immer gefangen im Möglichkeitsraum, den die Programmierer in ihren Programmen bereitstellten. Diese definierten die Regeln, die wir nur noch unreflektiert anwenden würden. Unsere schöpferische Autorität delegierten wir an das digitale Regelwerk, ermächtigten dieses und gäben unsere Selbständigkeit ab. Der Mensch vor dem Computer sei nichts anderes als sein Bedienungspersonal. Die aktuelle Entwicklung in Musik und Medienkunst bzw. Sound Arts suche nach einer anderen Haltung im Umgang mit Technik. Nicht die Vision des Machbaren und das Delegieren von Befehlen an Regelwerke seien erstrebenswert, sondern das Erkennen von Delegation und künstlerischer Selbständigkeit. Genre und Spartenzugehörigkeit könnten nicht mehr über das Material definiert werden. Insofern sei es fraglich, wie zeitgemäß es noch sei, hochschulkonforme Studienprogramme auszuformulieren, wenn man sie eher als flexible Gefäße mit wechselnden Inhalten in veränderlichen Beziehungen zueinander betrachten müsste.

Die Komponistin und Dozentin Cathy van Eck (Bern) stellte in ihrem Vortrag »Neue Instrumente und die Auswirkungen auf die künstlerische Praxis in den Sound Arts« vor und demonstrierte anhand von zehn Arbeiten von Studierenden diesen Umgang und seine die Auswirkungen. Diese Arbeiten gaben einen Einblick in die vielfältige Arbeitsweise und den auf künstlerische Fragen fixierten Umgang mit Medien im Berner Studiengang.

In der Schlussdiskussion, moderiert von Michael Harenberg, wurden noch einmal die Themen der drei Tage zusammengefasst und ergänzt. Die Berner Entwicklung aus der Elektroakustischen Musik und Medienkunst hin zu Sound Arts entspricht der Öffnung der elektronischen Künste, die international zu beobachten ist. Das Symposium hat deutlich gemacht, dass neben grundsätzlichen Fragen der musikalischen Gestaltung Themen des Embodiments und der spezifischen Rolle des Medialen im internationalen wissenschaftlichen Diskurs weiterhin zentral sind. Diskutiert wurde schliesslich über die zukünftige Rolle und Verantwortung von Komponistinnen und Komponisten angesichts internationaler Krisenphänomene und des Klimawandels.

Die Beiträge des Symposiums werden in einem Band im transcript Verlag publiziert.