Interdisziplinäre Fachtagung an der Bergischen Universität Wuppertal. 12.–14. Juli 2018
Organisator/innen: Anke Bosse, Wolfgang Lukas, Rebecca Unterberger
Die Gegenwart der (digitalen) Multimedia stellt zweifellos eine weitere Etappe in der allumfassenden Panvisualisierung unseres Lebens dar, obgleich Walter Ong bereits in den 1980er Jahren eingedenk des Hörfunks und des Fernsehens das Phänomen einer „sekundären Oralität“ für das elektronische Zeitalter skizziert hat. Heute ist das Radio zwar ein ‚altes‘, aber mitnichten ‚veraltetes‘ Medium, schließlich wird es auf dem je letzten medientechnischen Stand, im Wechselspiel mit Podcasting und Webradio, produziert und rezipiert. Im Bereich der Literatur indizieren Formate wie Poetry Slam oder Spoken Word und der Erfolg des Hörbuchs eine neue Lust am Sprechen und Hören. Für ein wissenschaftliches Abrücken vom erkenntnistheoretischen Zentrismus des Sehens sprechen die Sound Studies, die sich Klängen, Geräuschen, Lauten aus einer inter- und transdisziplinären Perspektive widmen. Als eine Art ‚Aufstand des Ohrs‘ hat sich ein auditive/sonic turn gegenüber dem pictoral/iconic turn formiert, der seit den 1990er Jahren als neues kulturwissenschaftliches Paradigma beschworen worden ist. Fazit: Oralität wird immer stärker als fundamental für ein wissenschaftliches Verständnis von Literatur erkannt.
Die Editionswissenschaft hingegen bleibt weiterhin traditionell text(ualitäts)fixiert: Sie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zwar zu einer ‚Medienkulturwissenschaft‘ hin erweitert und sich verstärkt der Materialität und Medialität in Theorie und editorischer Praxis gewidmet, doch sie blieb dabei stets auf schriftbasierte Literatur und damit auf deren Visualität bezogen. Im Unterschied zu editorischen Praktiken, die sich auf Volltextdokumente unterschiedlichster Gattungen und Textsorten beziehen und sich hierfür auf ein über Jahrhunderte entwickeltes, reflektiertes und immer mehr verfeinertes methodisches Instrumentarium der Textkritik, -aufbereitung, -darstellung und -kommentierung stützen können, stehen speziell die AV-Medienwissenschaften in der Entwicklung solcher Instrumentarien erst am Anfang. Dies gilt insbesondere für audiobasierte Dokumente wie Hörspiele. Der durchaus boomende Markt an Audio(re)editionen befindet sich derzeit zur Gänze in kommerzieller Hand. In editions-, literatur- und medienwissenschaftlicher Perspektive sind somit wissenschaftliche Editionen von audiophon konzipierten ‚Texten‘ ein großes Desiderat. Im Zeichen des aktuellen digitalen Medienwandels stellt sich diese Forderung mit gesteigerter Dringlichkeit, ist es doch gerade jetzt möglich, derartige medienübergreifende Editionen in befriedigender Weise zu realisieren. Doch solche Editionen fehlen – noch.
Die Tagung reagiert auf dieses Defizit und möchte Wissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen – der Literatur- und Medienwissenschaft, der Editionswissenschaft, der Linguistik, der geisteswissenschaftlichen Informatik (Digital Humanities), der Akustischen Ingenieurwissenschaften, des Medienrechts – sowie Vertreter von Literatur-/Medienarchiven versammeln und einen Dialog initiieren mit dem Ziel, gemeinsam Kriterien und Standards einer medienspezifischen Textkritik für die Audio-Edition zu entwickeln.
Erwünscht sind sowohl theoretisch-systematische Darstellungen als auch konkrete Fallstudien. Diskussionswürdig erscheinen u.a. die folgenden Aspekte:
- wissenschaftliche Standards der phonetischen Transkription (auch paraverbaler Phänomene)
- Genese des textuellen als auch audiophonen überlieferten Materials: Kriterien und Methoden der Erfassung und Verzeichnung von Entstehungsvarianz
- Fragen der Annotation und der Kommentierung
- Bild-Text-Ton-Synchronisation und ihre editorische und/oder technische Umsetzung
- digitale Standards der Konservierung von Audio-Dokumenten
- Fragen der nachhaltigen Langzeitarchivierung und -betreuung
- medienrechtliche Aspekte
Interessierte sind eingeladen, einen Arbeitstitel und ein max. einseitiges Exposé bis 15.01.2018 an rebecca.unterberger@aau.at zu senden.
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