Anna Souksengphet-Dachlauer wirft in ihrem Buch erstmals einen genaueren Blick auf die Frage, welche Art von Transformation literarische Texte bei ihrem Übergang in »akustisches Material« (S. 17) und schließlich in eine zeitgenössische radiophone Kunstpraxis durchmachen.
Das Buch widmet sich zuerst den Einflüssen von Hörspiel und Theater auf Heiner Goebbels‘ Arbeit. Von Bert Brecht und O-Ton-Hörspiel bis Digitalisierung und Musik werden Goebbels‘ Herangehensweise und Handwerkszeug beschrieben. Im Hauptteil analysiert die Autorin jene acht Hörstücke, die nach Texten von Müller entstanden, u.a. auf klanglich-rhythmische Elemente in Worten, Syntax und Typographie. Sie berücksichtigt Kontexte, intertextuelle Bezüge und Bezüge zu anderen Werken Müllers und bildet dies schließlich auf tragende Themen wie Krieg, Verrat und Deutschlandbild in Müllers Werk ab. Mit diesem analytischen Raster erarbeitet sie eine tabellarische Analyseübersicht, die fast 200 Seiten des Anhangs füllt und wertet diese im Analysekapitel des Textteils auf knapp 180 Seiten ganz im Sinne einer textbezogenen Analyse aus.
Als Literatur- und Medienwissenschaftlerin hat die Autorin ihr Hauptaugenmerk damit auf den Text gelegt, was gut gelingt, aber bei einem Gegenstand, der dem Feld der akustischen Kunst angehört, unweigerlich wesentliche Aspekte unbeleuchtet lässt. Mit der auditiven Ebene hat es Anna Souksengphet-Dachlauer zugegebenermaßen nicht leicht. Methoden zur Untersuchung der Audioästhetik des Radiophonen sind rar. Den tragfähigsten von Götz Schmedes übernimmt sie in Teilen, verzichtet aber schließlich doch bewusst auf dessen Tiefe der Analytik audiogestalterischer Mittel und bleibt, zugespitzt gesprochen, in der Unterscheidung zwischen Sprache, Geräusch und Musik hängen. Sie wagt es nicht, ein eigenes, dem Gegenstand angemessenes Kategoriensystem zu entwickeln, z.B. untergliedernd in Medienfundstücke, Alltagsklänge und Studioästhetik, wie sie für Goebbels‘ Arbeit vielleicht erkenntnisfördernd wäre. Stattdessen benutzt die Autorin ein Kategoriensystem, das teils zu schematisch und damit aussagefrei, teils wiederum normativ und damit überinterpretativ wirkt. Zudem scheint dieses System vom Himmel zu fallen, die Autorin diskutiert es in keiner Silbe methodenkritisch.
Aus der Sicht des Audiokulturforschers erfüllt Anna Souksengphet-Dachlauer das Ziel der Arbeit damit nur zum Teil. Es gelingt ihr durchaus, »das Verhältnis der Elemente hinsichtlich ihres quantitativen Einsatzes und ihrer semantischen Qualität« (S. 86) zu beleuchten und vor allem darzulegen, wie Müllers Texte in Goebbels‘ Skript oder praktischen Produktionsfluss eines Hörstücks übergehen und sich dabei ihre Struktur sowohl abbildet als auch wandelt. Goebbels‘ Hörstücke sind aber trotz ihrer intensiven textlichen Fundierung auditive Kunstwerke, und die Bindung an musikalische Prinzipien ist nur bei wenigen Radiokünstlern so bedeutsam wie bei ihm. Das Auditive schon im Transkriptionsprozess weitgehend außen vor zu lassen, muss daher unbefriedigend bleiben. Einen Baustein zum Verständnis eines der wichtigsten deutschen Radiokünstler liefert die Arbeit aber durchaus.
[gekürzte Fassung der Rezension von Golo Föllmer in “Rundfunk und Geschichte”, XXXVII/1-2, 2011, S. 79-80. => Link zur Webseite des Studienkreis Rundfunk und Geschichte e.V.]
Anna Souksengphet-Dachlauer: Text als Klangmaterial. Heiner Müllers Texte in Heiner Goebbels’ Hörstücken, transcript: Bielefeld 2010, 480 Seiten, 39,90 €.
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